Jean Richepin (1849 – 1926)
Die Nomaden
 
  Zigeuner und Hunnen! Tumulte und Hadern!
Landfahrende Stämme und unsteter Brauch!
Mein Blut, wie du rasest! Du sprengst mir die Adern:
Sag, streift dich ihr herber und reißender Hauch?

Nomaden! O wenn ich den Namen nur höre,
wie hallt er mir nach im verzauberten Blut!
Er peitscht wie die grellen Trompeten der Heere
zum Rasen die hufschlaghämmernde Flut!

Nomaden! Ihr seid's, deren stäubende Ritte
mir tief ihre Spur in die Seele geprägt,
Jahrtausende alte, unlöschliche Schnitte,
und euer ist, was mir im Traume sich regt.

O ja, ich erahn' euch! Ich spür' euch und lausche.
O Blut, singe lauten, in tobendem Chor!
Fahr festlich einher im Triumphmarsch und rausche!
Da sind sie, die Ahnen, sie schwärmen empor:

Bevor noch der Arier ackernd die Ernte
mit mühsamem Schweiße dem Boden entwand
und mit Göttern den Himmel besiedeln lernte,
da schweiften die mordenden Horden durchs Land.

Sie raubten von allem, der Zeit und den Räumen,
vermißten kein Gestern, bedachten kein Bald;
sie hießen den Augenblick gut zum Versäumen,
und keiner von ihren Genüssen ward alt.

Nichts hemmte die ewige Flucht ihrer Reise,
kein Tod, der sie kümmert, kein Gott, der sie schilt;
sie schlachteten krüpplige Kinder zur Speise
und aßen die Greise wie jagdbares Wild.

Sie haßten die Demut, die Bindung, die Götzen
und haben Gesetze und Künste verlacht.
Kein Tempel, kein Haus auf den Lagerplätzen,
kein Glaube als der an des Zufalls Macht.

Das sind meine Ahnen! Denn stand meine Wiege
in Frankreich auch, Römer und Kelt' bin ich nicht!
Hab den Wuchs eines Reiters und gelbliche Züge
und achte die Satzung gering und die Pflicht.

Ich Bastard! Ich fühle ihr Blut mich durchkreisen,
ihr Blut, das mich stachelt zu ketzrischem Geist,
Erhabenes hassen und wandern und reisen
und dürsten nach Nichts und Vernichtung mich heißt.

Wie oft hab ich nachts auf den öden Gefilden
verzückt sie gehört und mit schaudernder Lust,
den raschen Galopp und die Lieder der Wilden,
und das Herz meiner Ahnen mir schlug in der Brust!

Nun sing ich sie nach, ihre Wandergesänge,
von Trotz und verrohten Begierden zerhackt,
von Blut und Verwüstung die flackernden Klänge,
in klirrenden Reimen und zänkischem Takt.

Nun lasse der Lieder schrill-bittres Getöne,
dem Wiehern und Achsengekreische verwandt,
das Trommelfell bluten und knirschen die Zähne
dem Ariersohn, der die Götter erfand!
(1953)
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